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halten. Außerdem ist sie ja 22. Also erwachsen. Sie sollte wirklich aufstehen und das ganze Chaos um sie herum beseitigen, denn wie jeder weiß, zeigt sich am Zustand der eigenen Wohnung , ob man sein Leben im Griff hat oder nicht. Und sie hatte hart gearbeitet, in den letzten Jahren, viel runtergeschluckt und alles getan, damit sie sagen kann, dass sie ein erfolgreiches Leben führt. In allen Bereichen, versteht sich.
Doch jetzt gerade, in diesem Moment, fühlt sie sich nicht sehr erfolgreich. Sie liegt, immer noch im Schlafanzug, zusammengekauert, in ihrem Bett, die Luft zum Schneiden dick und gegessen hat sie bis jetzt nur Dinge, die in unmittelbarer Reichweite ihres Bettes waren. Darunter fallen ein paar alte Chips und glutenfreie, vegane Gummibärchen. Ekelhaft.
Schon wieder ein Grund zu weinen. Ja, eigentlich ist gerade alles zum Weinen. Sie liegt, wie eine Versagerin, im Bett und fühlt sich abwechselnd leer oder so verzweifelt, dass sie Angst kriegt. Manchmal kommt ihr bester Freund vorbei und leistet ihr ein bisschen Gesellschaft, während sie weint. Das macht sie oft noch trauriger, weil sie sonst immer stark und lustig und voller Energie war und er sie nun so gesehen hat. Kaum mehr eine ganze Person.
Irgendwann kann sie nicht mal mehr das Haus verlassen, um einzukaufen. Noch mehr Junkfood also, Halleluja. Auch ihre Arbeit und ihre Wohnung kündigt sie, zieht zu ihrem Freund und hofft still
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darauf, am nächsten Tag aufzuwachen und sich normal zu fühlen. Mittlerweile ist sie oft nicht mehr nur verzweifelt oder leer, sondern in solcher Angst vor allem, am meisten vor sich selbst, und diesem Monster, das in ihr sitzt und ihr nach und nach alles wegnimmt, sie von innen auffrisst, bis sie sich selber nicht mehr erkennt, dass sie kaum noch atmen kann, ihr Körper ihr entgleitet und sie zu einem unkontrolliert zitterndem und hyperventilierendem Häufchen Elend wird, dass weder sieht noch hört, was um es herum geschieht. Zunächst kommen diese Attacken, wenn sie wieder mal daran denkt, was sie alles verloren hat. Doch mit der Zeit werden sie unberechenbar. Nina fragt sich manchmal, ob sie vielleicht nur träumt und eigentlich gesund ist, und wenn sie wirklich am Boden ist, glaubt sie das sogar. Dann fühlt sie sich wie in einem Film und gleichzeitig so verwirrt, dass ihr Kopf schwirrt, als sei sie betrunken. Sie erkennt sich dann im Spiegel nicht wieder und fühlt ihre eigene Präsenz außerhalb ihres Körpers. Diese Momente machen ihr besonders Angst. Denn dann verliert sie komplett den Bezug zu sich selber. Ihr Vertrauen in ihre Wahrnehmung und ihre Erinnerungen schrumpft so, immer weiter, kaum noch auszumachen, so ähnlich wie ihr Selbstwertgefühl, zumal ihr oft gesagt wird, dass sie ihren eigenen Gedanken nicht trauen darf. Oder ihrem Gefühl. Was bleibt ihr dann noch übrig, als verstummt oder schreiend im Bett zu liegen und ihr Leben zu